„MADAME, ES IST NICHT RATSAM, EINZUTRETEN!“
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versetzte der Impressionismus die französische Kunstszene in Aufruhr. Die neue Strömung in der Malerei brach mit den Regeln des akademischen Kunstbetriebs. Daher wurden die Werke der Impressionisten oft nicht in den Ausstellungen des Pariser Salons zugelassen.
Der gemeinsame Ansatz der Künstler war, die Atmosphäre eines Augenblicks malerisch einzufangen. Dieses Anliegen ging einher mit einer für die Sehgewohnheiten des Publikums ungewohnten Malweise.
Wichtige Vertreter des Impressionismus waren neben Claude Monet unter anderem Auguste Renoir, Edgar Degas, Paul Cézanne, Alfred Sisley, Édouard Manet, Camille Pissarro und Berthe Morisot. Ihren Namen erhielt die Gruppe durch das Gemälde „Impression, Sonnenaufgang“, das Monet anlässlich ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung 1874 präsentierte.
Nun, was ist ein Fleck? Es ist ein Lichtmoment.
Paul Bourget, 19051
DAS STUDIUM DES LICHTS
Monet malte die Straße nach Chailly, die durch den Wald von Fontainebleau führt. Menschen sind nicht zu sehen. Die Spannung im Bild entsteht allein durch Komposition und Malweise. In dieser Arbeit zeigen sich bereits impressionistische Ansätze, die kennzeichnend für seinen Stil wurden. Monet strebte danach, einzigartige Lichtmomente an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit so unvermittelt einzufangen, wie es seiner augenblicklichen Wahrnehmung entsprach. Die Detailgenauigkeit tritt zugunsten der Atmosphäre in den Hintergrund.
Um einen Moment rasch festhalten zu können, arbeitete der Künstler mit breiten Flachpinseln – einer neuen Pinselform, die erst durch die Erfindung der Metallzwinge möglich geworden war.
DER GEFILTERTE BLICK
Das Stillleben zeigt verschiedenen Zustände der Frucht: als Frischobst, eingekocht und als flüchtige Reflexion im Marmor. Das Aussehen der Gegenstände verändert sich für das Auge des Betrachters. Ihr optisches Erscheinungsbild wird durch die Filter dazwischen – Glas, Flüssigkeit und Spiegelung – beeinflusst.
ZU TISCH BEI MONET
In Historienbildern – der traditionell ranghöchsten Gattung der Malerei – wurden religiöse, mythologische oder geschichtliche Themen dramatisch inszeniert, um große Gefühle zu wecken und eine höhere Moral zu vermitteln.
Mit seinem Gemälde „Das Mittagessen“ brach Monet die bestehende Ordnung der Malereigattungen auf: Komposition und Malweise zeigen, dass er den Gegenständen auf dem Tisch im Zentrum besondere Aufmerksamkeit widmete. Dabei kombinierte er ein Stillleben mit einer alltäglichen Szene.
Im Gegensatz zum Historienbild gehörten Stillleben und Genredarstellungen zu den niederen Gattungen – traditionell wurde dafür ein kleineres Format gewählt. Durch das monumentale Format von „Das Mittagessen“ erfährt das Alltägliche eine Aufwertung.
Monet wollte „Das Mittagessen“ im Salon einreichen. Durch seine Größe wäre es zwischen den oft meterhoch übereinander gehängten Kunstwerken aufgefallen. Doch es wurde abgelehnt. 1874 präsentierte er es auf der ersten Ausstellung der Impressionisten.
VON DRINNEN NACH DRAUSSEN
Wieder steht ein Esstisch im Vordergrund, doch verlagerte Monet hier die Szene nach draußen. Die Personen haben den Tisch bereits verlassen und schlendern gemächlich durch den sonnigen Garten. Im Gegensatz zu „Das Mittagessen“ treten sie hier noch stärker in den Hintergrund. Alles im Bild ordnet sich der Stimmung des Augenblicks unter.
Monet knüpft thematisch an sein Werk „Das Mittagessen“ an, indem er dasselbe Motiv zeitlich versetzt darstellt. In seinem „panneau décoratif“ (dekorative Tafel), wie er das Gemälde bezeichnete, wird keine Handlung erzählt. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Atmosphärischen. Monet geht sogar so weit, ins Zentrum des Bildes eine leere Fläche aus flirrenden Farben zu setzen.
DIE WELT GERÄT IN BEWEGUNG
SPIEGELBILDER AUF DEM WASSER
Nicht das schwimmende Café oder die Badenden, sondern die reflektierende Wasseroberfläche steht im Vordergrund. Die mit groben Pinselstrichen wiedergegebenen Wellenbewegungen kontrastieren mit der klaren Struktur der Komposition, in der die Boote und der Anlegesteg auf das Zentrum des Bildes ausgerichtet sind.
Das Gebäude und die grob skizzierten Personen sind in den Reflexionen auf der Wasseroberfläche kaum wiederzufinden. Die Spiegelung existiert scheinbar losgelöst von ihrer Umgebung.
EINE MEERESBRISE
Das Meer ist kaum zu sehen. Die wehenden Flaggen lassen das Wellenrauschen jedoch erahnen. Vereinzelte Personen mit Hüten und Sonnenschirmen schlendern gemächlich die Strandpromenade in Trouville entlang. Auf der rechten Seite ragt das Hôtel des Roches Noires in den blauen Himmel.
Monet hatte im Juni 1870 seine Geliebte Camille Doncieux geheiratet. Den Sommer verbrachte er mit ihr und dem gemeinsamen Sohn in dem beliebten Ferienort Trouville – allerdings nicht in diesem Hotel, sondern in einer bescheideneren Unterkunft. Die friedliche Stimmung, die er hier einfing, lässt nichts davon erahnen, dass der Deutsch-Französische Krieg unmittelbar bevorstand.
AUS DER FERNE
Unzählige Menschen tummeln sich bei kühlem Winterwetter auf dem Boulevard des Capucines. Ihre malerisch aufgelösten Körper erinnern an Bewegungsschatten auf einer unscharfen Fotografie. Aber auch unbewegte Dinge, wie Bäume und Häuser, verbinden sich zu diffusen Farbflächen.
Monet malte den Boulevard des Capucines vom zweiten Stock des Hauses Nummer 35 aus. Die breiten Boulevards, die zu dieser Zeit in Paris neu angelegt wurden, eröffneten den Impressionisten eine neue Seherfahrung. Die Distanz zur Straße ermöglichte einerseits einen Überblick über das Geschehen. Doch zeigt die Unschärfe der Figuren an, dass Details im Gesamteindruck verloren gehen.
FARBENFLUT IM BLUMENMEER
Er äußerte den Wunsch, blind geboren zu sein und dann plötzlich sehen zu können, sodass er auf diese Weise mit dem Malen hätte beginnen können ohne Wissen darüber, was er vor sich habe.
Lilla Cabot Perry über Claude Monet, 19273
EIN AUGENBLICK DER RUHE
DER REIZ DES VERBORGENEN
Raffiniert erzeugt die Künstlerin Spannung, indem sie den Blick über mehrere Schichten in die Tiefe lenkt. Ein Mann schaut durch die Lücke zwischen Fensterrahmen und Zaun. Die Blickkette führt von ihm weiter nach draußen zu dem Mädchen und der Frau und am Ende zu den Booten in der Ferne.
Der Blick des Mannes aus dem Fenster stellt die einzige Verbindung zwischen Innen und Außen her. Indem Morisot den Mann im Haus und die Frauen draußen positioniert, kehrt die Künstlerin die traditionellen Geschlechterrollen um. Der öffentliche Raum wurde eher dem Mann, das Interieur der Frau zugewiesen.
Herr Monet wollte uns die verschiedenen Ansichten des Bahnhofs Saint-Lazare bei der Ankunft und Abfahrt der Züge zeigen. Leider hat der Leinwand entweichender, dichter Rauch uns den Blick [...] verwehrt.
Ein Rezensent der dritten Impressionisten-Ausstellung, 18774
RAUCH VERSPERRT DIE SICHT
AUF DEM BAHNHOF SAINT-LAZARE
Ein rundes Verkehrsschild erzeugt eine Barriere im Zentrum des Bildes. Das Gelände des Bahnhofs Saint-Lazare erscheint unscharf – so als würde man es aus einem fahrenden Zug heraus betrachten. Zusätzlich wird die Sicht durch die Rauchschwaden der Dampflokomotiven eingeschränkt.
Vereinzelte Formen sind hinter den Wolkenschleiern sind nur schemenhaft auszumachen. Monet lässt die Bildgegenstände beinah ganz im Rauch verschwinden. Die individuelle Stofflichkeit der Dinge tritt in den Hintergrund. Der Fokus liegt auf dem atmosphärischen Eindruck des Ortes.
TRAUERNDES ERSCHAUERN
Ein schmerzhafter Moment für Monet: 1879 starb seine Ehefrau Camille im Alter von nur 32 Jahren nach schwerer Krankheit. Mit flüchtigen Pinselstrichen malte er sie auf ihrem Totenbett. Camille verschwindet beinahe hinter einem Schleier aus flirrenden Farbtönen.
Es heißt, Monet sei beim Malen vor sich selbst erschrocken. In diesem emotionalen Moment hatte er sich automatisch vom Geschehen losgelöst und nur noch die wechselnden Farbschattierungen wahrgenommen: Er betrachtete die tragische Szene mit dem „unschuldigen Auge“ des Malers. Das Malerische triumphiert über den Inhalt.
WO IST VÉTHEUIL?
Nebelschwaden umhüllen das auf einem Hügel gelegene Dorf Vétheuil. Oben und unten scheint es im Bild nicht zu geben. Zeit und Raum lösen sich auf. Ebenen, die Vorder- und Hintergrund erkennen lassen könnten, existieren nicht. Motiv und Spiegelung sind nicht mehr voneinander zu trennen.
In den 1870er Jahren begann Monet, seine Leinwände mit einem gleichmäßigen, groben Farbauftrag so zu komponieren, dass sich die Rangordnung der dargestellten Elemente auflöste und die Gesamtstruktur in den Vordergrund rückte. Der Künstler lässt in „Vétheuil im Nebel“ das Motiv zugunsten der Stimmung nahezu verschwinden. Die Betonung des Atmosphärischen ist eine entscheidende Voraussetzung für seine späteren Serienbilder.
DIE KATHEDRALE VON ROUEN
Monet arbeitete meist parallel an mehreren Leinwänden. Bei jedem Wetter zog er mit Staffelei und einem Koffer voller Malutensilien los. Wahrscheinlich wählte er die Kathedrale als Motiv, da Form, Textur und Farbe der Architektur nicht durch den Lauf der Jahreszeiten verändert wurden. Allein das Wetter mit seinem wechselnden Spiel von Licht und Schatten sorgt für eine Veränderung der atmosphärischen Wirkung.
Im Atelier stimmte Monet die einzelnen Bilder seiner Serie aufeinander ab. Der Künstler weigerte sich, auch nur eines der Bilder vor Fertigstellung der gesamten Serie auszustellen oder zu verkaufen. So wichtig war ihm die Gesamtwirkung.
FARBIGE SCHATTEN
Was man am Original sehen kann
Die Impressionisten schenkten dem optischen Phänomen der farbigen Schatten in ihren Bildern große Aufmerksamkeit. Bei Tageslicht lässt das Streulicht des Himmels Schatten manchmal bläulich oder violett erscheinen.
Die Künstler beobachteten, dass auch Lichtreflexionen aus der Umgebung Einfluss auf die Farbigkeit der Schatten haben. Sie bildeten ab, was sie sahen. Viele ihrer Zeitgenossen reagierten auf die farbigen Schatten in den Bildern der Impressionisten mit Unverständnis.
Ein Schatten ist weder schwarz noch weiß. Er hat immer eine Farbe. Die Natur kennt nur Farben ...
Auguste Renoir, 19106